NEWS / Der E-Learning-Report 2020

Lernen gestaltet die Arbeit – Arbeit mutiert zum Lernen.
Wie sehen Persönlichkeiten aus der HR-Welt die Möglichkeiten zum digitalen Lernen?

Wer den Alltag erfolgreich bewältigen will, lernt ständig dazu. Das geschieht bewusst und unbewusst. Schon der griechische Philosoph Heraklit sprach vom „panta rhei“ – „alles fließt“. Die Chancen und Möglichkeiten zum Lernen waren noch nie so gut wie heute. Wir haben sieben engagierte LernerInnen um ein Statement mit Empfehlungen zum Lernen gebeten. Diese Blitzlichter zeigen, wie vielfältig Lernen heute verstanden wird.

Die Erfindung der Maschine vor gut 250 Jahren nahm uns die schwere körperliche Arbeit ab. Die Erfindung des Computers befreite uns von den geistigen Routinetätigkeiten. Das alles schaffte Raum für die Entfaltung der Einzigartigkeit eines jeden Menschen. Die Prognosen und Ängste, dass uns Maschinen und Computer die Arbeit wegnehmen werden, haben sich längst in Luft aufgelöst. Die einfachen, die qualifizierten, die sozialen, die pädagogischen und die betreuenden Arbeiten gehen uns nicht aus.

Kultur des Lernens – Kultur des Menschseins

Lernen funktioniert immer weniger auf Befehl. Firmen brauchen eine Kultur des Lernens, der Neugierde und des Neuen wagen. Wir alle stehen tagtäglich vor neuen Herausforderungen, die wir mal gut und mal weniger gut meistern. Aber wir lernen dabei. Und weil sich die Verhältnisse oder die Bedürfnisse der Kunden ändern, bleibt wenig Platz für Routine.

Die Räume für unsere individuelle Entfaltung werden größer sowohl im Privaten wie auch im Beruf. Corona bringt dabei einen zusätzlichen Schub. Wir sind Individuen und sehr unterschiedliche Lerner. Wir, und viele Unternehmen, lernen gerade, sich auf diese neue Art des Tätigseins einzustellen. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu lernen. Das heißt, wir müssen auch lernen, zu lernen. Deshalb fanden wir es hilfreich von „Lernern“ zu lernen.

Innovationen schaffen Chancen für die Zukunft

Mit dem Lernen verbindet sich die Neugierde. Aus ihr heraus entsteht das Neue, das es gestern noch nicht gab. Damit lösen wir Probleme, verändern und verbessern wir die Welt. Deshalb müssen wir mit dem Lernen auch die Neugierde fördern.

Ugur Sahin der Mitgründer von Biontech wurde einst als Schüler durch die Sendungen des ZDF „Querschnitte“ von Hoimar von Ditfurth für das Thema Immunologie begeistert. Wenn es uns gelänge, die Fähigkeiten der Menschen stärker zu nutzen, würden uns allen 20 Stunden Arbeit in der Woche reichen – und wir könnten sie auch gut finanzieren. Dann wiederum gewännen wir viel Zeit, um Neues zu lernen.

Drei Fragen an …

… Julia Bangerth, Chief Operating Officer der DATEV

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Qualifizierung und Lernen im Unternehmen gelingen?
Julia Bangerth: Die Arbeitswelt verändert sich derzeit radikal – durch Faktoren wie die digitale Transformation, technologische Entwicklungen und dadurch veränderte Arbeitsweisen, wie beispielsweise Agilität. Corona hat die Dynamik noch mal gepusht. Wenn jemand bei seiner Arbeit an eine Hürde kommt, braucht es situativ angemessene Optionen, sich kurzfristig die nötigen Informationen zu besorgen und Kompetenzen anzueignen. Das kann ein kurzes Video sein, eine Kollegin oder ein Kollege, ein Baustein aus einem Online-Seminar. Dafür brauchen die Menschen eine hohe Selbstlernkompetenz auf der einen Seite und adäquate Angebote, die sie nach eigenem Bedarf wählen können, auf der anderen. Und klar ist auch: Lerninhalte sind immer schneller überholt – bisherige Bildungskonzeptionen mit dem Prinzip des Vorratslernens können bei dieser Dynamik nicht mehr mithalten.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo und wie Lernen gut funktioniert?
Bangerth: Wir haben bereits vor Corona Plattformen organisationalen Lernens geschaffen, die mittlerweile zum Großteil in den virtuellen Raum umgezogen sind. Auf Barcamp-artigen Veranstaltungen und in Communities teilen KollegInnen, Partner und Kunden ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Um das selbstgesteuerte Lernen in crossfunktionalen Teams zu unterstützen, haben wir bei DATEV die Rolle des Corporate Learning Coaches entwickelt. Als Lernbegleiter fördert er in den Teams kontinuierliches Lernen und unterstützt einzelne Personen oder Gruppen bei selbstgesteuerten Lernprozessen und der Entwicklung von Selbstlernkompetenzen.

… Maika Fritz, Abteilungsleiterin Weiterbildung und Personalentwicklung und Marbod Lemke, Weiterbildung Digital bei Andreas STIHL

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Qualifizierung und Lernen im Unternehmen gelingen?
Maika Fritz: Wichtig sind drei Punkte: Lernkultur, Zielgruppenorientierung und Digitalisierung. Es ist kein Geheimnis: Lebenslanges Lernen und eine selbstbestimmte Lernkultur sind ein Schlüssel zum Erfolg. Wenn ein Unternehmen sich kontinuierlich weiterentwickelt, dann heißt das auch, dass sich Mitarbeiter und Führungskräfte weiterentwickeln. Durch Corona haben wir gelernt, wie wichtig und erfolgsrelevant die Digitalisierung des Lernens ist und welche Chancen darin stecken. Die moderne Weiterentwicklung ist selbstbestimmt, maßgeschneidert und kombiniert digitale und hybride Formate.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo und wie Lernen gut funktioniert?
Marbod Lemke:
Digitale Weiterbildung hat unterschiedliche Ausprägungen:
• Die selbstbestimmte E-Learning-Plattform wird im Produkttraining im Schnitt einmal in der Woche freiwillig von der
Hauptzielgruppe genutzt.
• Zielgruppenorientierte VR/AR Angebote unterstützen die Rekrutierung neuer Azubis und Studenten.
• Die Umstellung von Weiterbildungsmaßnahmen auf digitale und hybride Formate zeigen wie Digitalisierung erfolgreich
in der Weiterbildung Einzug hält.

… Thomas Jenewein, Training and Adoption I Business Development

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Qualifizierung und Lernen im Unternehmen gelingen?
Thomas Jenewein:
Freiraum (Geld und Zeit) für Lernende, ihr eigenes Lernen zu gestalten, eine Kultur die das Lernen von anderen, aus Fehlern, durch Reflekion, Ausprobieren und Austausch fördert. Angebote die relevant sind für die jeweiligen Zielgruppen, ihren Kontext und ihre Bedarfe. Integration mit und bei der Arbeit – aber auch die Möglichkeit zu reflektieren und über den Tellerrand zu schauen. Förderung und Forderung der Führungskräfte, Mitarbeiter zu entwickeln. Technologische Helfer, um Lernen effektiv, effizient und motivierend zu gestalten. Lernen mit dem Lernenden im Mittelpunkt designen – mit dem Fokus auf positive Lernerfahrungen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo und wie Lernen gut funktioniert?
Jenewein:
SAP Learning Hub ermöglicht gut einer halben Million SAP-Kunden & -Partnern digital SAP-Produkte zu lernen. Durch bedarfsgesteuerten Zugriff auf eine Vielzahl von digitalen Inhalten, einschließlich E-Learning, Webinaren und Handbüchern. Moderierte Lern-Communities fördern das Lernen von anderen, Lern-Systeme bieten Hands-on-Lernen. Ein anderes Beispiel ist der SAP interne Coaching-Pool mit mehreren hundert Mitarbeitern. Diese sind alle professionell als Coach nach Kriterien wie des ICF ausgebildet. Mitarbeiter können selbstorganisiert über eine Datenbank Coaches suchen und selbst den Prozess starten.

… Prof. Dr. Anja Schmitz, Professorin für Personalmanagement/ HRM an der Hochschule Pforzheim und Mitglied im Human Resources Competence Center

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Qualifizierung und Lernen im Unternehmen gelingen?
Anja Schmitz:
Vor dem Hintergrund zunehmender Komplexität und Veränderungsdynamik muss Lernen in Organisationen
ganzheitlicher gedacht werden, als dies an vielen Stellen aktuell stattfindet. Ein hilfreiches Konzept dafür ist der Ökosystemansatz. Er verdeutlicht, dass wir die Lernenden und ihre spezifischen Bedürfnisse in den Fokus unserer Lösungsentwicklung stellen müssen. Damit dies gelingt, ist eine integrierte Gestaltung der organisationalen und technologischen Aspekte notwendig, die vermehrt auch externe Akteure mitberücksichtigt.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, wo und wie Lernen gut funktioniert?
Schmitz:
Organisationen, die diesen Ansatz bereits für die Gestaltung des Lernens nutzen, sind z.B. Siemens, IBM, Audi, Visa und auch Mercedes Consulting. Sie setzen dabei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Deutlich wird jedoch in allen Beispielen, dass den Lernenden vielfältige Angebote zur Verfügung gestellt werden, die über eine sinnvolle Datennutzung auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden. Die Kompetenzentwicklung der Lernenden kann damit unterstützt werden und die Businessrelevanz des Lernens verdeutlicht.

Quelle: HR Performance 6/2020
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